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07. Mai 2019

Europa wählt – wohin geht die Reise in der Agrarpolitik?

Das Thema Landwirtschaft ist für die Europäische Union von größter Bedeutung – und ein bloßes „Weiter wie bisher“ kann es nicht geben: Darüber waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am agrar...
Auf dem Bild: Europa wählt

Das Thema Landwirtschaft ist für die Europäische Union von größter Bedeutung – und ein bloßes „Weiter wie bisher“ kann es nicht geben: Darüber waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am agrarpolitischen Fachgespräch einig, zu dem am Freitag, 3. Mai die Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in Bayern (LVÖ Bayern) e.V. zusammen mit der Ökomodellregion Nürnberg, Nürnberger Land, Roth ins Nürnberger Rathaus eingeladen hatte. Die bevorstehende Europawahl und der laufende Reformprozess der GAP bildeten den aktuellen Rahmen für die auf hohem fachlichem Niveau geführte Diskussion zwischen Marlene Mortler ( MdB, CSU), Agnes Becker (ÖDP), Birgit Raab (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Horst Arnold (Fraktionsvorsitzender der SPD im bayerischen Landtag) sowie Vertreterinnen und Vertretern diverser Verbände aus Landwirtschaft und Umweltschutz (LVÖ Bayern, Bayerischer Bauernverband (BBV), Bund Deutscher Milchviehhalter e.V. (BDM), Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. (AbL), Bund Naturschutz in Bayern (BN), Landesbund für Vogelschutz (LBV) und Verein Donausoja). Ulrike Müller (MdEP, Freie Wähler) und der Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) waren per Videobotschaft dabei. Die Übertragung der Veranstaltung ins Internet stieß auf großes Interesse: Allein der Livestream wurde 1600mal aufgerufen, der Mitschnitt über das Wochenende weitere 2700mal.

Wie weiter mit den Fördergeldern?

36 Prozent des gesamten EU-Haushaltes fließen in die Landwirtschaft, in die „Gemeinsame Agrarpolitik (GAP)“. Für die laufende Förderperiode von 2014 bis 2020 bedeutet das eine Gesamtsumme von über 400 Milliarden Euro. Wie soll es weitergehen mit der GAP? Nach welchen Leitlinien sollen in den nächsten Jahren die vielen Milliarden in der EU verteilt werden? Auch in der Diskussion am Freitag standen beim Thema GAP die flächenbezogenen Direktzahlungen im Mittelpunkt, die bisher den Löwenanteil der Agrarförderung ausmachen. Birgit Raab (GRÜNE) forderte eine klare Bindung aller Zahlungen an Umweltleistungen. Agnes Becker (ÖDP) plädierte für eine sofortige Umschichtung eines großen Teiles der Gelder aus der ersten in die zweite Säule der Agrarförderung. Marlene Mortler (CSU) steht für eine Beibehaltung der Direktzahlungen, plädierte jedoch für eine deutlich erhöhte Förderung der ersten Hektare zugunsten der kleinen landwirtschaftlichen Betriebe. Horst Arnold (SPD) sprach sich dafür aus, das bisherige 2-Säulen-Modell grundsätzlich zu hinterfragen und insbesondere auch Nebenerwerbslandwirte nicht zu vergessen.

Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen

Hubert Heigl, Vorsitzender der LVÖ Bayern betonte: „Die neue GAP muss dafür sorgen, dass aktive Landwirte die nötige Unterstützung für Gemeinwohlleistungen im Umwelt-, Klima- und Tierschutz erhalten – und nicht wie bisher vor allem der Besitz von Land belohnt wird. Mindestens 70 % der gesamten GAP-Milliarden müssen an Bauern gehen, die freiwillig mehr für Umweltschutz und Tierwohl tun. Insbesondere brauchen wir eine starke zweite Säule. Nur mit der Leitlinie „öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“ kann es der GAP gelingen, sauberes Wasser, gesunde Böden sowie die Artenvielfalt zu erhalten.“

Gescheitertes Greening – wachsende Anforderungen aus der Gesellschaft

Der Prozess der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ist momentan in vollem Gange. Durch die 2014 eingeführten sogenannten „Greening-Maßnahmen“ für eine umweltfreundlichere Landwirtschaft wurden die gewünschten Effekte nicht erreicht. Der aktuelle Vorschlag der EU-Kommission sieht nun vor, für den einzelnen Landwirt freiwillige Umweltmaßnahmen in der ersten Säule zu verankern, sogenannte „eco-schemes“. Marlene Mortler mahnte an, bei der Ausgestaltung dieser neuen Maßnahmen darauf zu achten, den Landwirten nicht noch mehr Bürokratie aufzuhalsen und die bewährten Agrarumweltmaßnahmen in Bayern nicht auszuhebeln. Andererseits sieht sie jedoch gestiegene gesellschaftlichen Anforderungen an die GAP. Für Agnes Becker ist eine klare und verbindliche Definition der eco-schemes besonders wichtig, um von vornherein zu verhindern, dass sich die EU-Mitgliedsstaaten gegenseitig mit möglichst niedrigen Anforderungen an den Umweltschutz unterbieten.

Bauern stärken – Eiweißversorgung aufbauen – Bio in staatlichen Kantinen

Neben der GAP behandelte das agrarpolitische Fachgespräch weitere Themen wie die Stellung der Bäuerinnen und Bauern innerhalb der Wertschöpfungskette, die Eiweißversorgung in der Nutztierhaltung, Verfahren und Regulierung der sog. Neuen Gentechnik oder den Ausbau des Ökolandbaus.
Diskutiert wurden Mechanismen zur Eindämmung unlauterer Handelspraktiken sowie die Regeln der europäischen Marktpolitik. Für Horst Arnold ist es dabei besonders wichtig, die Marktposition der Erzeuger im Handel mit Agrarprodukten zu stärken wo es nur geht.
Beim Thema Eiweißversorgung in der Nutztierhaltung machte Birgit Raab sich dafür stark, die Eiweißlücke zu schließen, indem die Züchtung von Eiweißpflanzen gefördert und eine Einbindung von Leguminosen in die Fruchtfolge verbindlich vorgegeben wird.
Die Ablehnung der Verbraucherinnen und Verbraucher von Gentechnik in der Landwirtschaft war unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern unbestritten. So sprach sich unter anderem Agnes Becker klar gegen den Einsatz von allen Formen von Gentechnik aus.
Um das im Volksbegehren Artenvielfalt gesetzte Ausbauziel von 30% Ökolandbau bis 2030 in Bayern zu erreichen, forderte Becker mehr Beratung und ein anderes Einkaufsverhalten des Staates. Auch für Marlene Mortler ist die Gemeinschaftsverpflegung ein wichtiger Ansatzpunkt um den Absatz von Bio-Produkten zu stärken: „Ich hätte mir schon lange gewünscht, dass ‚öko` in staatlichen Kantinen wirklich lebt“, hob sie hervor.

Europa: Frieden und Freiheit

Zum Abschluss des von Claus Mayer (topagrar) souverän und lebendig moderierten Fachgespräches appellierte Hubert Heigl (LVÖ Bayern) an alle Zuhörer: „Lassen Sie uns auch immer daran denken, dass die europäische Gemeinschaft unser Garant für Frieden, Freiheit und Demokratie ist. Setzen wir in diesem Sinne bei der kommenden Europawahl mit unseren Stimmen ein klares Zeichen für ein soziales, ökologisches und faires Europa!“

Die Diskussionsrunde wurde von der Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in Bayern (LVÖ Bayern) e.V. in Kooperation mit der Öko-Modellregion Nürnberg, Nürnberger Land, Roth veranstaltet. Moderation: Claus Mayer, top agrar. Die Veranstaltung fand statt von 16 bis 18 Uhr im Rathaus Wolff´scher Bau, Rathausplatz 2, Zimmer 45 (Schöner Saal), 2. Stock, 90403 Nürnberg und wurde per Livestream ins Internet (Facebook, topagrar.com) übertragen. Aktuell ist der Mitschnitt zu sehen auf www.topagrar.com/suedplus

Hintergrund

114 Euro – und eine Stimme für die GAP

Das erfolgreiche Volksbegehren zur Förderung der Artenvielfalt in Bayern hat gezeigt: Die Menschen wünschen sich eine Agrarpolitik, die Lösungen für drängende Probleme unserer Zeit wie den Verlust der Artenvielfalt, die Verunreinigung der Gewässer oder den Klimawandel bietet. Ein Volksbegehren auf Landesebene kann wichtige Änderungen bewirken. Doch die großen Rahmenbedingungen für die Agrarpolitik in ganz Europa werden in Brüssel gestaltet. 36 Prozent des gesamten EU-Haushaltes fließen in die Landwirtschaft, in die „Gemeinsame Agrarpolitik (GAP)“. Bei der Europawahl am 26. Mai entscheiden die Wählerinnen und Wähler also auch darüber, wofür die 114 Euro künftig verwendet werden, die – nach einer Berechnung des NABU-Naturschutzbund Deutschland e.V. – jährlich pro EU-Bürger für die Gemeinsame Agrarpolitik ausgegeben werden. Weitere Informationen zu den aktuell wichtigen Themen der Gemeinsamen Agrarpolitik liefert der Agraratlas 2019 der Heinrich-Böll-Stiftung: www.boell.de/de/agraratlas